Sektion: Spectrum

UNE VIE ORDINAIRE

AN ORDINARY LIFE

Alexander Kuznetsov
FR/CH, 2024, 93 Min

Langzeitbeobachtung: Katya und Yuliya haben Jahre ihres Lebens zunächst in einem sibirischen Waisenhaus, dann in der Psychiatrie verbracht. Entlassen werden sie in eine Gesellschaft, die zunehmend militaristischer wird, um dann in ihrem Namen einen Angriffskrieg beginnen zu lassen. Wie glücklich, wie frei kann man hier werden?

#doc #political #family

Performance

2024-11-05 | 19:30 Uhr
Glad-House
2024-11-06 | 12:00 Uhr
Glad-House

2016 begleitete Regisseur Aleksandr Kuznetsov in seinem Dokumentarfilm LIBERATION. THE USER’S GUIDE, Katya und Yuliya, zwei Mädchen, die aus einem Waisenhaus in Sibirien direkt in eine neuropsychiatrische Anstalt überstellt wurden. Keine Bürgerrechte, keine Freiheit, keine Familie. Jetzt wurden die beiden entlassen. Alexandr Kuznetsov hat sie bei der „Eingliederung“ in die Gesellschaft begleitet. Heute, nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine, fragt er sich, in welche Gesellschaft eigentlich? Er lebt selbst nicht mehr in der Russischen Föderation, hat sein gedrehtes Material neu geordnet.

Da gibt es zum Beispiel die „Wahl“ in einem Altenheim, wo auf den Etagen die Wahlzettel mit der Bemerkung „ihr müsst euer Kreuz bei Putin machen“ an die versammelten Bewohner*innen verteilt werden und wo ein junger Mann mit der Axt die Ecken der ausgefüllten Wahlzettel abhackt, als Zeichen dafür, dass sie gezählt wurden. Der „Große Vaterländische Krieg“, der Sieg über die Faschisten, wird hier dauerzelebriert. Und beim „Konzert für Frieden“ – der Dirigent mit dem zaristischen St. Georgs-Band am Revers – werden hinter den Musikern riesengroß Luftkampfaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg abgespielt. All dies wird in der Rückschau zur kriegsvorbereitenden Maßnahme genauso wie die Schlachten-Re-Animationen und 9. Mai-Paraden.

Yuliya hat drei Jahre nach der Entlassung aus der Psychiatrie die gesetzlich garantierte Wohnung bekommen, geheiratet und zwei Kinder. Beides Söhne. Ihnen sagt sie, „auch ihr werdet einmal stolz unser Land verteidigen.“ Derweil fahren Züge mit Soldaten – Frischfleisch – ins Ungewisse, und auf der Straße knüppelt die Polizei Anti-Kriegs-Demonstranten nieder. Bestandsaufnahme aus dem militarisierten Innern der russischen Gesellschaft, der Titel AN ORDINARY LIFE erinnert vielleicht nicht zufällig an Michail Romms sowjetischen Dokumentarfilmklassiker ORDINARY FASCISM und Yuriy Khashchevatskiys Lukaschenko-Portrait ORDINARY PRESIDENT.

„Nach einigen Jahren trifft Alexander Kuznetsov die Protagonistinnen seines Bref manuel de libération (VdR 2016) wieder, die nun frei ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Während er hofft, dass sie glücklich werden, begleitet er sie ohnmächtig auf ihrem Weg, der geradewegs in einen kompromisslosen Nationalismus führt. An Ordinary Life ist ein Film über Verlust und Trauer.“ (Filmfestival Visions du Réel, Nyon, Schweiz, 2024)

Text: Bernd Buder

05.11.2024 | 19:30 | Glad-House (OmeU + Simultanübersetzung)

06.11.2024 | 12:00 | Glad-House (OmeU + Simultanübersetzung)

Vorfilm: HYMN OF THE PLAGUE // GIMN CHUME (Alexander Epikhov, Dimitri Gorbaty and Philipp Ivanov, DE 2024, 12 min)

Kamera
Konstantin Selin, Alexander Kuznetsov, Yulia Kuznetsova
Schnitt
Luc Forveille and Konstantin Selin
Produzent
Rebecca Houzel
Co-Produktion
Intermezzo Films - Luc Peter
Alexander Kuznetsov

Alexander Kuznetsov - After a career in photojournalism, Alexander Kuznetsov turned to documentary filmmaking: “Territory of Love” (2010), his first documentary, has been at many festival. In 2014, “Territory of Freedom” was presented in competition at the Vision du Réel festival and won the Best Feature Documentary Prize at the Amiens Film Festival. His third feature film “We’ll be Alright” (2016 - Production Petit à Petit Production), was selected by numerous festivals, including Visions du Réel (Jury Prize andInterreligious award), Camden International Film Festival (John Marshall Award), Artdocfest (Grand Prix), Message to Man (Grand Prix, nominated EFA). His new feature-length documentary "An ordinary Life" was premiered at Visions du Réel 2024.

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