Er streichelt sanft mit den Sticks über das Trommelfell, zieht Kordeln durch enge Ösen an seinem Schlagzeug, erzeugt krächzende Töne und drischt schließlich mit großer Präzision auf die HiHats. Stefan Friedrich ist professioneller Schlagzeuger und wichtiger Part des Filmprojekts ELEGIA INDUSTRIAL 3D, welches im letzten Herbst auf dem 25. FilmFestival Cottbus seine Uraufführung feierte. Jetzt tourt das Projekt aus Schlagzeug-Live-Performance und 3D-Dokumentarfilm nach Polen. Am 15. April wird in Zielona Gora die internationale Premiere erfolgen. Wir sprachen mit Stefan Friedrich über sein gemeinsames Projekt mit dem Filmemacher Donald Saischowa.
FFC: 3D-Kino und Schlagzeugspiel- wie kam das bei Elegia zusammen?
Stefan Friedrich: Die Idee der Zusammenarbeit wurde am Silvesterabend im letzten Jahr geboren. Donald Saischowa dokumentierte den Abriss des Vetschauer Kraftwerks mit der Kamera vom Anfang bis zum letzten Spatenstich. Die Gewalt der Bilder und deren Geräusche animierten uns den Krach einer Baustelle, mit Bagger, Raupe und Abrissmaschine neben die Kraft eines Live spielenden Schlagzeuges zu stellen. Das Duell: Schlagzeug gegen Bagger! 3D um die Tiefe der Bilder zu verdeutlichen und unter Wasser, um zusammen mit der Musik mitten drin zu sein.
FFC: Wie bereitest du dich auf eine Vorführung vor?
Stefan Friedrich: Ich übe natürlich ganz viel bevor ich auf die Bühne gehe. Vorstellen muss man sich das so, dass man im Proberaum oder im Studio hinter seinem Schlagzeug sitzt, der Bildschirm mit dem Film steht vor einem und dann geht´s los. Stundenlang. Direkt vor dem Konzert sitzt alles. Die Bühne wird vorbereitet, das Schlagzeug aufgebaut und gecheckt, solche Dinge halt. Bevor es losgeht spiele ich mich immer warm und unterhalte mich gern mit Leuten aus dem Team.
FFC: Hast du im Laufe der mehrmaligen Aufführung schon dein Spiel angepasst, etwas ausgebessert?
Stefan Friedrich: Im künstlerischen Bereich wurde nichts verändert, ausschließlich in der technischen Umsetzung haben wir Sachen angepasst.
FFC: Du setzt dein Schlagzeug auch anders ein, benutzt zum Beispiel Kordeln, um Töne zu erzeugen. Improvisiert ist das aber nicht, oder?
Stefan Friedrich: Die Strippen sind Drähte und Seile in einer Snaredrum. Man kann daran ziehen ohne das man je ein Ende findet. Eben dieser GRRRR Sound verdeutlicht noch mehr wie es auf der Baustelle aussah. Ein sehr roher Sound und genau richtig für das regelrechte Abrissbaggermassaker. Die Snare habe ich eigens für Elegia entwickelt.
FFC: Wie ist die bisherige Reaktion des Publikums auf dieses Kinoerlebnis?
Stefan Friedrich: Sehr, sehr gut. Unsere Befürchtungen waren völlig umsonst und jeder der dabei war ist begeistert von dieser einzigartigen Zusammenführung von Kunst. Jeder hat den Zusammenhang zwischen den Welten verstanden und wir sind sehr glücklich, dass die Menschen Lust haben mehr zu sehen und an jeder Stelle fragen, wann Elegie wieder läuft.
FFC: Ja, eben: Wie geht die Elegia-Tour nach der Aufführung in Polen weiter? Gibt es bald auch eine erneute Aufführung in Cottbus?
Stefan Friedrich: Über die Aufführung in Zielen Gora freuen wir uns sehr und ist ein tolles Ergebnis für uns. Als große Eckpfeiler gibt es im Sommer ein Openair Kino im Branitzer Park. Im Oktober plant das Team von Elegia eine zweiwöchige Tour durch das Land. Und einige Sachen mehr. Es ist alles in Bewegung und wächst.
Hintergrund:Bei ELEGIA 3D trifft ein Dokumentarfilm von Donald Saischowa über den Abriss des Kraftwerks Vetschau auf die Live-Performance und Kompositionen des Musikers Stefan Friedrich - ein 3D-Filmkonzert, das in dieser Form ein absolutes und extravagantes Novum ist.
Das Kraftwerk Vetschau beschäftigte bis zu seiner Stilllegung 1996 rund 5.000 Menschen. Demontiert wurde der auf einem 1,3 Quadratkilometer großen Grundstück stehende Industriebolide von 2012 bis 2015 dann durch lediglich drei Arbeiter. Die Filmaufnahmen haben eine urzeitlich-titanische Anmut, die geführt vom Tempo der Musik einen atemberaubenden Rhythmus entwickeln. Der Abriss des Kraftwerks in Vetschau steht stellvertretend für die zunehmende Abkehr von klimabeeinflussenden Technologien.
Zwischen all dieser Destruktion in Vetschau erscheinen plötzlich - wie Intermezzi einer Oper - Unterwasseraufnahmen der Riffe der Malediven. Durch den ansteigenden Meeresspiegel vom Untergang bedroht, ist der Inselstaat das wohl bekannteste Beispiel für die Folgen des Klimawandels. Vetschau und die Malediven - zwei Synonyme, tausende Kilometer voneinander entfernt und doch miteinander verbunden.
ELEGIA INDUSTRIAL 3D ist ein Film, der sowohl voller Respekt vor der Arbeit der in Vetschau tätigen Menschen ist als auch voller Demut vor der Natur. Paradoxerweise ergibt sich trotz Abriss und drohendem Untergang ein erbauliches Gesamterlebnis, das überrascht - und zugleich unterhaltend ist. Mit ELEGIA INDUSTRIAL 3D realisieren Stefan Friedrich und Donald Saischowa ihr erstes gemeinsames Projekt.