Von Terrorgefahr und Rollstuhl-Killer: Programmdirektor recherchierte in Cannes

Von Terrorgefahr und Rollstuhl-Killer: Programmdirektor recherchierte in Cannes

Der Programmdirektor des FilmFestival Cottbus, Bernd Buder, ist in ganz Europa unterwegs, um die besten osteuropäischen Produktionen für die 26. Ausgabe des FFC zu finden. Dass seine Reisen, auch wenn sie ihn an die französische Côte d‘Azur führen, reine Arbeitsreisen sind und mitunter auch unangenehme Perspektiven bieten, erklärt er uns in einem Interview.

Wie war dein Besuch in Cannes?
Das Filmfestival in Cannes ist ja erwiesenermaßen das einflussreichste internationale Filmfestival. Es bietet auch zahlreiche osteuropäische Filme. Dieses Mal waren in den Wettbewerben allerdings weniger Osteuropäer vertreten als letztes Jahr. Es waren drei rumänische Filme dabei: zwei im offiziellen Wettbewerb und einer im „Un Certain Regard“. Bei den „Cannes Classics“ - das sind historische, restaurierte Filme – gab es drei Beiträge aus dem östlichen Mitteleuropa: einen tschechischen Science-Fiction-Film aus den Sechzigern, einen ungarischen Beitrag von Karoly Makk und einen slowenischen Beitrag von 1956, welcher mich besonders beeindruckt hat. Es war damals der erste Film, bei dem ein schwarzer Schauspieler in Cannes den Preis für den besten Darsteller gewonnen hat. Ein sehr beeindruckender Kriegsfilm, und der Schauspieler spielt nicht, wie es ja bis heute zu oft üblich ist, einen Musiker, sondern einen US-Piloten, der für die beiden Kinder, die die anderen Protagonisten des Films sind, einen Ersatzvater gibt. Also eine wichtige Identifikationsfigur für die Kinozuschauer. Das war für mich fast das beeindruckendste Filmerlebnis in Cannes. Darüber hinaus ist Cannes ein unglaublich guter Treffpunkt, auf dem man alle Vertreter der Filmzentren und Sales-Agenten trifft und wo man sich in zahlreichen Marktvorführungen anschauen kann, welche Filme wohl bald auf Festivals und im Kino auftauchen werden. Das ist immer eine sehr intensive Woche. Ich habe so circa 60-70 Termine plus die Filmvorführungen wahrgenommen. Dazu kommen noch die Empfänge und Parties. Stichwort Parties: Das ist natürlich alles toll, aber solche Veranstaltungen gehen dann doch an einem vorbei, wenn man konzentriert für ein Filmfestival recherchiert. Das ist dann doch fast 24/7 Arbeit. Cannes ist eine Veranstaltung, die unglaublich intensiv und effektiv ist und natürlich auch viel Spaß macht. Man guckt immerhin auf die Côte d’Azur, wenn man sich z.B. mit dem Leiter des serbischen Filmzentrums trifft. Ein toller Arbeitsplatz, aber eben doch Arbeit.

Du hast schon zahlreiche Festivals in dieser Saison besucht. Cannes war da sicherlich das größte. Lässt sich so ein allgemeiner Trend erkennen? Du hast ja schon angeschnitten, dass nicht mehr ganz so viele osteuropäische Filme in Cannes zu sehen waren.
Ich glaube, auf einen Trend kann man allein aufgrund der Festivalrepräsentanz nicht schließen. Die ist immer auch von Zufällen abhängig. Manchmal auch von der Lobby-Arbeit, die Sales-Agenten und nationale Filmzentren machen. Manchmal kommen Filme auch einfach zu spät an oder werden zu spät fertig. Mit einer Aussage über Trends wäre ich  vorsichtig. Allerdings gab es andere Auffälligkeiten: So kamen weniger Gäste in diesem Jahr. Das lag wohl daran, dass in den USA die Terror-Gefahr in Europa sehr stark diskutiert wurde. Klingt etwas absurd, ist aber nachvollziehbar. Cannes als DAS Aushängeschild des Films dürfte für Islamisten ein interessantes Ziel sein - ein Thema, über das man leider sprechen muss, entsprechend wurden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft.
Doch zurück zu unserem eigentlichen Thema: osteuropäische Filme haben weniger Marktvorführungen geboten. Die sind im Allgemeinen recht teuer und man erledigt das pragmatisch immer mehr über Sichtungslinks und -DVDs. Das ersetzt aber nicht den persönlichen Kontakt; und gerade der ist sehr wichtig, um das Image unseres Festivals zu erklären und die Bedeutung des FFC hervorzuheben. So viele E-Mails kann man kaum schreiben, bis man erklärt hat, was man in wenigen Minuten im direkten Gespräch darlegen kann. Aber um auf die „Trends“ zurückzukommen: auffällig war die Zurückhaltung bei der russischen Präsenz. Wahrscheinlich aufgrund von Geldmangel, aber auch aufgrund von geringen Chancen auf russische Koproduktionen waren relativ wenige russische Filmemacher dort, obwohl in Cannes das „Jahr des russischen Films“ ausgerufen wurde und Russland den „Marché du film“ gesponsert hat. Offensichtlich gibt es in Russland wieder ein vermehrtes Interesse, auf den internationalen Markt zuzugehen. Dort hat sich die ohnehin sehr gut ausgebaute Produktion hoch budgetierter Filme für den großen, internationalen Markt noch weiter entwickelt. Es gibt einige unglaublich gut gemachte Action-Filme. „The Crew“ zum Beispiel, ein Film mit einem 30 Mio. Euro Budget, welcher jetzt nach China verkauft wurde und dort ganz sicher einen großen Teil der Ausgaben wieder einspielen wird. Diesen Film hat das selbe Produzenten-Team gemacht, von dem auch „Metro“ stammt, der vor drei Jahren in Cottbus lief. Eine weitere Auffälligkeit ist, dass in Polen in diesem Jahr an die hundert Filme entstehen. Das ist nicht zuletzt ein Ergebnis der Aktivitäten der regionalen Filmfonds. Zudem gibt es relevante Strukturverbesserungen in Rumänien. Auf der anderen Seite merkt man auch die Auswirkungen der politischen Entwicklungen hin zum Rechtspopulismus im östlichen Europa. Da gerät zum Beispiel das Audiovisuelle Zentrum in Kroatien unter politischen und leider auch persönlichen Druck. Die Filmförderung in Kroatien hat ja in den letzten Jahren eine Wahnsinns-Arbeit geleistet, um den kroatischen Film und die dortige Filmindustrie voranzubringen und in diesem Zusammenhang rund 3000 Arbeitsplätze geschaffen. Wie mir der Leiter des Zentrums, erklärte, ist der augenblickliche kroatische Kulturminister ausgesprochen weit rechts aussen zu finden. Er möchte nur bedingt, dass in Kroatien mit Ausländern zusammengearbeitet wird. Solch ein politischer Druck gehört zu den Themen, über die international mehr gesprochen werden müsste, da sie für die gesamte Filmbranche nicht gerade unbedrohlich sind.

Für den „normalen“ Kinogänger ist Cannes ja roter Teppich, Stars und Blitzlichtgewitter. Da kann man sich solch politischen Themen kaum vorstellen.
Es gab ja bereits im letzten Jahr den kleinen, aber nachhaltigen Skandal, dass Schauspielerinnen hochhackige Schuhe auf dem roten Teppich vorgeschrieben wurden. Das gab eine riesige Diskussion. In diesem Jahr lief eine Schauspielerin als Zeichen barfuß über den Teppich. Da fängt‘s mit den politischen Themen dann im persönlichen Bereich an. Cannes ist natürlich größtenteils Glamour, und das gehört auch einfach dazu. Das heißt aber nicht, dass nicht über Politik gesprochen wird. Die Filmemacher stehen ja zum Teil unter großem Druck, die Produzenten sind von nationalen Filmförderungen abhängig, die oft von den jeweiligen Regierungen kontrolliert werden. Was es nicht gibt, sind große Panels über politische Themen, aber durchaus Vorträge und Panels zu der zukünftigen Entwicklung des europäischen Kinos. Cannes hat sich ja immer als Schaufenster des europäischen Kinos begriffen und verpflichtet sich auch der Marktmacht aus Hollywood Paroli zu bieten - auch wenn man, was die Präsenz des amerikanischen Kinos zeigt, durchaus verstanden hat, dass internationale Blockbuster aus Blockbuster wesentlich für den Erfolg des Systems Kino sind.

Nun mal Butter bei die Fische. Hast du Filme gesehen, die für das 26. FilmFestival Cottbus infrage kommen?
Aber hallo! Leider kann ich noch nicht viel darüber erzählen, da wir das Programm ja erst zusammenstellen werden, damit man eine gute Mischung von Hardcore-Arthouse bis zum kommerziellen Action-Kino hinbekommt. Da gab es einiges Vielversprechendes zu sehen, und es wurden in Cannes auch viele Filme angekündigt. So viele, dass ich sehr auf das Programm in Karlovy Vary gespannt bin. Da wird es noch ganz heiße Sachen zu entdecken geben. Zum Beispiel ist in Ungarn ein Film in den Kinos angelaufen, in dem es um eine Gang von rollstuhlfahrenden Killern geht. Politisch völlig inkorrekt, aber irgendwie wieder doch korrekt, da hier Rollstuhlfahrer gezeigt werden, die auf eine schräge Art ziemlich normal sind und nicht auf Mitleid machen.

Kannst du schon einen kleinen Ausblick auf die kommenden Festivals, die du besuchen wirst, geben?
Ja, da startet direkt nach dem Festival in Karlovy Vary ein kleines aber feines Filmfestival in unserer Partnerstadt Zielona Gora, vom 7. bis zum 10. Juli. Dort wird das FFC auch einige Filme aus Deutschland präsentieren. Dann geht es nach Odessa, wo sich in den letzten Jahren ein sehr wichtiges internationales Filmfestival etabliert hat. Dann steht Sarajevo als einer der wichtigsten Treffpunkte des südosteuropäischen Kinos an. Und dann gleitet es langsam hinüber in die Zeit der alltäglichen Festivalvorbereitung: Gäste einladen, Filme programmieren und noch viel mehr. Und dann warten noch an die 60 bis 70 Filme, die mir noch als Ansichtsexemplare vorliegen, und die ich noch zwischendurch schauen werde.