SEKTION: Freund als Feind
Schon Kinder lernen: Petzen gibt es nicht! Auch denunzieren ist nicht salonfähig. Und Verrat hat schon manchen den Kopf gekostet. Trotzdem gehört der Verrat seit Jahrtausenden zum Menschen, in den verschiedensten Facetten. Eine besonders perfide Variante gibt uns auch 28 Jahre nach der Wende noch immer Rätsel auf – das ist der Verrat des inoffiziellen Mitarbeiters (IM) der Staatssicherheit der DDR oder anderer ex-sozialistischer Länder. Was hier – oft unter dem Deckmantel eines ‚besseren‘ Sozialismus – von Mensch gegen Mensch verlangt, wie Mensch gegen Mensch psychologisch gesteuert und erpresst wurde, wie von Staatsseite Biografien, Freundschaften, Ehen zerstört wurden, das war letztlich monströs und verlangte von den aktiv Steuernden der Stasi ein besonders inhumanes Denken und Fühlen. In DER SCHWARZE KASTEN kommt ein hochrangiger Stasi-Offizier und Dozent für Psychologie an der Hochschule der Staatssicherheit der DDR zu Wort. Er hat Führungsoffiziere und Vernehmer in psychologischer Strategie ausgebildet. Selbst im Dialog mit der äußerst empathischen Tamara Trampe erkennt der Mann die Perfidität seiner Methodik nicht, sondern verteidigt sie – er wollte es doch „humaner“ machen.
Seit 1992, dem Jahr der Öffnung der Stasi-Akten, wurde zu dieser Thematik in Gesamt-Deutschland viel schmutzige Wäsche gewaschen, viel zu oft ohne Differenzierung und von Nicht-Betroffenen. Doch in letzter Zeit entstanden Dokumentarfilme, die nicht verurteilen, sondern erkunden wollen, die sich Empathie und Nachdenken erlauben und der Komplexität von Charakter, Psychologie und politischer Überzeugung der IM-„Täter“ Raum geben. In den Filmen VATERLANDSVERRÄTER und ANDERSON ihrer Trilogie „Verrat“ vertieft sich Annekatrin Hendel in zwei sehr individuelle und verschiedene IM-Geschichten. Obwohl sich beide Protagonisten eher nicht erklären, gelingt ihr ein Persönlichkeitspuzzle, das bruchstückhaft tiefere Einblicke ermöglicht und zum Nachdenken anstößt. Nachdenken, wie und warum dieser Verrat begann und was er mit seinen Akteuren gemacht hat. Dazu gehört auch die Frage, was denn nach dem Verrat tun? Und wie bewältigt der Verratene den Vertrauensbruch, wie umgehen mit Verletzung und Wut?
In dem Spielfilm DRÁGA BESÚGOTT BARÁTAIM | LIEBE BESPITZELTE FREUNDE beschreibt Sára Cserhalmi das stumme Ringen zwischen zwei ehemaligen Freunden: Die Wut des Verratenen prallt auf die Sprachlosigkeit des Täters, um schließlich in der eigenen Ohnmacht zu enden. Wesentlich schmerzhafter erlebt eine Ehefrau in RYSA | DER RISS den bloßen Verdacht, ihr Mann habe ihren Vater bespitzelt und sei zu diesem Zweck auf sie angesetzt worden. Die beiden Spielfilme beschreiben sehr eindringlich, wie der Schmerz über den Vertrauensbruch einen Menschen innerlich zerreißen kann.
Der Regisseur Thomas Heise wurde vom engsten Freund seines Bruders verraten. In seinem Film MEIN BRUDER – WE’LL MEET AGAIN besucht er seinen Bruder, der inzwischen bei diesem Freund in Südfrankreich lebt. Vielleicht ist dieser Film Heises persönliche Aufarbeitung, an der er uns teilhaben lässt. Er jedenfalls braucht keine lauten Töne, vielmehr gibt er Raum für Nachsinnen und für die Worte, die nicht ausgesprochen werden. Das Leben geht ja weiter, und Vergebung wiegt leichter als Hass. KF
Die Reihe Freund als Feind wird gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung des SED-Diktatur.